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Geschichte Mittelalter

Der Schöpfer der deutschen Frau ist Franzose

Eine Ausstellung folgt dem namenlosen Meister, der die berühmten Stifterfiguren im Naumburger Dom schuf. Sicher ist mittlerweile: Er kam aus Frankreich.

Auf die Frage, mit welcher mittelalterlichen Figur er am liebsten zusammentreffen würde, antwortete Umberto Eco: mit Uta von Naumburg . Er wird dabei kaum eines jener Gedichte im Sinn gehabt haben, mit denen heute zu Recht vergessene Poeten die Gemahlin des Markgrafen Ekkehard II. verherrlichten: "Der Frauen Würde schönste Zierde, und sie zu schützen Mannes Pflicht. Es paart sich Strenge und auch Güte in diesem stolzen Angesicht."

Der Uta-Kult blühte in dunklen Zeiten deutscher Geschichte. Im nationalen 19. Jahrhundert kaum beachtet, wurde sie nach dem Ersten Weltkrieg zur Ikone eines gekränkten Nationalismus, der den Untergang des Kaiserreichs durch die Beschwörung einer ewig überlegenen "deutschen Kunst" zu kompensieren suchte. Als das Deutsche Reich der zweiten Katastrophe des vorigen Jahrhunderts entgegen ging, erschien Uta auf Propaganda-Bildern wie eine mahnende Göttin hinter verbissen kämpfenden Landsern. "Eine Kultur kämpft um ihr Dasein" hieß die Parole.

Spiegelkabinett der Rezeption

Noch in den fünfziger Jahren zierte sie eine Briefmarke der Bundespost, die zu einer Jahrestagung des Ostdeutschen Kulturrates erschien. Walt Disney hat diese Konnotationen auf seine Weise aufgenommen. Die böse Königin aus "Schneewittchen und die sieben Zwerge" trägt unverkennbar Utas Züge. Das Naumburger Stadtmuseum hat als Beitrag zur sachsen-anhaltinischen Landesausstellung "Der Naumburger Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen" ein grandioses Spiegelkabinett der Rezeption des berühmtesten Bildwerkes dieses Meisters eingerichtet.

Aber wo finden wir nun Uta, diese Traumfrau, geheimnisvoll wie Nofretete und Mona Lisa, glamourös wie Marylin Monroe oder Marlene Dietrich, aber eben auch germanisch-deutsch wie die stolze Kriemhilde? Bevor die Massen nach der Eröffnung ein ungestörtes Tète à Tète unmöglich machen, suchen wir sie im Westchor des Naumburger Doms. Ruhig und schummrig ist es hier. Die Seitenkapelle mit den Glasfenstern von Neo Rauch ist verschlossen. So wird man nicht abgelenkt.

Die spektakulärste von zwölf Figuren

Und es gibt auch keine Ausflüchte mehr. Man muss durch das Portal des Lettners, der Trennwand zwischen Kapelle und Kirchenschiff, und kommt dabei seinem Heiland auf erschütternde Weise nahe. Man könnte den Kopf in die Achselhöhlen des Gekreuzigten legen. Keine Chance, seinem Blick auszuweichen. Was für ein Leidensgesicht! Aber das ist ja Heilsgeschichte, der gemarterte verspricht Erlösung. Tröstlich schwenken die Engel zu seinen Seiten die Weihrauchfässer.

Und nun zu Uta: Wer ihren Standort nicht kennt, findet sie nicht gleich. Sie ist nicht die spektakulärste unter den zwölf Domstifter-Figuren. Der Graf Syzzo schaut wild und herausfordernd und hat sein Schwert geschultert. Er hat jemanden im Auge, den er der Legende nach ermorden ließ. Dieser andere Edelmann legt vorsichtshalber die Hand an seinen Schwertgriff. Im seligen Stand der Stifter sind Todfeinde vereint. So sieht Erlösung aus, sehr irdisch und lebensprall.

Elite-Akademie der Bildkunst

Uta also. In einen fülligen Mantel hüllt sie sich. Unter ihm ist ihr rechter angewinkelter Arm zu ahnen, die Linke rafft lässig den Saum. Ihrem Gatten wendet sie sich nicht eigentlich zu, eher ab, jedenfalls hält sie den Mantel so, als fröstele es sie in seiner Nähe. Und er, seiner Physiognomie nach zu urteilen ein ziemlicher Wüstling, zupft kokett und verlegen an seinem weiten Ärmel.

So viel Leben in steinernen Skulpturen, solche Genauigkeit und so wenig idealisierender Formenkanon - das ist die Sprache des Naumburger Meisters, der zu den größten Genies der europäischen Kunstgeschichte gehört, aber mangels schriftlicher Quellen namenlos blieb. Ein Architekt und Bildhauer war er, geboren wahrscheinlich in Frankreich. Jedenfalls muss er hier ausgebildet worden sein.

Denn die Bildsprache, die er zur Meisterschaft führte, entstand an den Kathedralbauten der Ile de France, der Champagne und der Picardie. Vor allem die Baustelle der Kathedrale von Reims, der Krönungskirche der französischen Könige, war so etwas wie eine Elite-Akademie der neuen Bildkunst, in der sich für einen historischen Moment, ein halbes Jahrhundert vielleicht, eine mittelalterliche Aufklärung spiegelte, ein Vorschein der Renaissance.

Der Meister kam aus Mainz

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Die Menschenbildnisse wurden individuell, psychologisch durchdrungen. Exakte Naturbeobachtung schlägt sich selbst in den ornamentalen Teilen der Bildwerke nieder. Die Pflanzen, die am Naumburger Westlettner dargestellt sind, lassen sich botanisch bestimmen und können nun im Domgarten auch in Natura betrachtet werden.

Nach Naumburg kam der Meister aus Mainz, wo er seit etwa 1230 die Dombauhütte prägte und den 1681 abgerissenen Westlettner schuf, dessen Figurenschmuck nur noch zum Teil erhalten ist. Die Naumburger Ausstellung führt nun zum ersten Mal nahezu alle Werke – im Original oder in Nachbildungen – zusammen, die ihm zugeschrieben werden können. Noch nie war eine solche Bilderfahrung möglich: Im Naumburger Dom steht das Mainzer Weltgericht den Passionsszenen des Lettners gegenüber, der thronende Jesus schickt die Erlösten ins Paradies und die Verdammten in die Hölle.

Bezüge in die Kunst seiner Zeit

Diese Figurengruppen – der Zug der Seligen und der Zug der Verdammten – brechen über den Betrachter herein wie ein Gewitter der Physiognomie und der menschlichen Gemütsverfassungen. Man muss schon ziemlich abgebrüht sein, um sich davon nicht erschüttern zu lassen. Für Belehrung ist natürlich auch in überreichem Maß gesorgt. Die lange Flucht der Ausstellungsräume führt den Besucher ein in die höfische Kultur, mittelalterliche Buchkunst, erklärt das Bauhüttenwesen und die Fertigungsschritte steinerner Skulpturen. Vor allem aber stellt sie den Naumburger Meister mit einer Überfülle von Bezügen in die Kunst seiner Zeit.

Naumburg ist eine kleine Stadt . Es hat noch nicht einmal den Status eines Oberzentrums. Aber mit dieser Ausstellung ist es zu einem Zentrum der europäischen Kunst geworden. An fünf Ausstellungsorten – der Dom als Zentrum – werden der Naumburger Meister und seine Epoche präsent. Es sind Kunstschätze an die Saale gekommen, die in Deutschland noch nie gezeigt wurden, so etwa die Stifterfigur des Königs Childebert I. aus dem Louvre.

Die geborstenen Wasserspeier von Reims

Natürlich haben bei der Eröffnung der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, und Kulturstaatsminister Bernd Neumann den Naumburger Meister die kulturelle Einheit Europas beschworen. Selten klangen solche Reden so wahr wie bei diesem Anlass – und das in der Provinz, fern aller Metropolen, denn Naumburg wird bald auch seinen ICE-Anschluss verlieren.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy haben die Schirmherrschaft übernommen. Man muss hoffen, dass sie im europäischen Krisenverhau dieser Tage Zeit finden, gemeinsam nach Naumburg zu kommen. Sie werden dann auch einen Wasserspeier der Kathedrale von Reims betrachten können, aus dessen fürchterlichem Maul sich erstarrtes Blei ergießt. Das Blei schmolz, als die Deutschen im Ersten Weltkrieg die Kathedrale in Brand schossen, und floss durch die Wasserspeier ab.

Kultur schützt vor Barbarei nicht, und vielleicht dachte mancher der Kanoniere an Uta. Aber Kultur überdauert auch alle Barbarei. Wer sich in Utas unergründlichen Blick versenkt, weiß das. Es ist schön, dass wir Europäer jetzt an der Saale unseren Naumburger Meister finden können. Nie war er so wertvoll wie heute.

Dom und weitere Orte in Naumburg, bis 2. November

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