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Naumburger Meister Naumburger Meister: Warum Uta am Mantel zerrt

Von Günter Kowa 14.10.2011, 13:38
Restaurator Friedhelm Wittchen kontrolliert im Naumburger Dom vor den jährlichen Reinigungsarbeiten die berühmten Stifterfiguren Uta von Ballenstedt (um 1000-1046) und Ekkehard II. Markgraf von Meißen (um 985-1046) im Westchor auf Schäden. (ARCHIVFOTO: DPA)
Restaurator Friedhelm Wittchen kontrolliert im Naumburger Dom vor den jährlichen Reinigungsarbeiten die berühmten Stifterfiguren Uta von Ballenstedt (um 1000-1046) und Ekkehard II. Markgraf von Meißen (um 985-1046) im Westchor auf Schäden. (ARCHIVFOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Naumburg/MZ. - Der Vorhang fällt und alle Fragen bleiben offen. Wenige Wochen vor dem Ende der Ausstellung zum „Naumburger Meister im Europa der Kathedralen“ haben die bisher rund 150 000 Besucher keineswegs das letzte Wort zum „Bildhauer-Architekten“ gehört, der mit den Stifterfiguren und Lettnerreliefs ein außergewöhnlich lebendiges Werk des Mittelalters hinterlassen hat. Wer er war („und wenn ja, wie viele“), woher er kam, was seine Auftraggeber von ihm wollten, was seine Werke bedeuteten – all das ist immer noch Stoff genug für wissenschaftlichen Disput, der jüngst mehr als 200 Teilnehmer aus halb Europa, aus den USA und sogar Israel zu einer Tagung nach Naumburg lockte.
R>Wenn die Ausstellung die Wegstrecke des Naumburger Meisters von den französischen Kathedralen des königlichen Kernlandes - von Reims, Noyon und Amiens - über Mainz nach Naumburg und Meißen entwickelt, so findet das durchaus keine universelle Zustimmung.Bruno Klein von der Technischen Universität Dresden eröffnete einen ganzen Katalog an Zweifeln, der Naumburger Meister sei Bildhauer und Architekt zugleich gewesen. Die innige Verbindung der Stifterfiguren mit dem Bauwerk haben zwar alle beobachtet, meint er, nicht aber zu welch mühsamen Korrekturen das Einpassen der Skulpturen führte: „Nachdem die Bildhauer fertig waren, fing der Architekt, der sie hatte gewähren lassen (müssen?), noch einmal an, maß alles neu aus und rückte in den Steinlagen oberhalb der skulptural gestalteten Zone alles wieder ins Lot, um fortfahren zu können.“
R>Ungnädig rüttelte er aber auch an der Kompetenz des Architekten. Dem sei die aktuelle französische Baupraxis allenfalls „generisch vertraut“, er habe zum Beispiel wenig Verständnis für die Systematik von Diensten und Rippen. Gäbe es die Plastik nicht, so sein Fazit, wäre die Architektur des Westchors kaum interessant, und die Plastik vor allem deshalb aufregend, weil sieihre Vorbilder aus Reims (die expressiven „Masken“) für die Aufgabenstellung unerhört „lebensnaher“ profaner Figuren kreativ weiter entwickelte.

Zu ganz anderen Schlüssen über die Architektur mitsamt originellem Vorschlag zu ihrer Ahnenfolge kommt dagegen Marc Carel Schurr von der Universität Grenoble. Der will sehr wohl eine Qualität der Architektur in ihren plastischen Elementen erkennen, den kunstvollen Wasserspeiern bis hin zu fein geschwungenen Profilformen.

Die „dickwandige“ Konstruktion mit den Laufgängen nach dem Muster von Reims geht in Naumburg, so will es Schurr, eine Synthese mit dem dünnwandigen, nur einschichtigen Wandaufbau eines anderen Strangs der französischen Gotik ein: „Der Laufgang ist skulptural aus der flächig erscheinenden Wand herausgebildet.“

Das Vorbild findet Schurr in Lothringen, in der Kathedrale von Toul. So wird aus dem „französischen“ ein Bildhauer des Reichsgebiets, was womöglich den Auftraggebern ins Konzept passte, die ihre Position im Reich und nicht in Rivalität mit den französischen Kronlanden ausbauen wollten, glaubt Schurr. Freilich: Zweifel an der Führerschaft von Toul, das ein sehr bescheidenes Bauwerk ist, sind angebracht. Zur Sache ging es auch bei einem Disput über Metz: Teile der dortigen Kathedrale will Christoph Brachmann, derzeit im Lehramt an der Universität von North Carolina, schon länger dem Naumburger Meister zuschlagen, mit der Konsequenz allerdings, dass dessen Werk durchweg später zu datieren wäre. Auch die Klosterkirche von Schulpforte, die er näher am „französischen“ Kanon der Gotik sieht als den Westchor von Naumburg, würde diesen wohl zwingend nach 1251 einordnen, dem Baubeginn von Schulpforte.

Nicht minder lebhaft, jedoch weniger kontrovers angesichts der spekulativen Thematik, ging es bei den Deutungsversuchen der Skulptur zu. Einen inneren Zusammenhang zwischen den profanen Stiftern und den so prominenten „Sündern“ im Westlettner – Judas, der Verräter und Petrus, der Leugner – brachte ein Diskussionsteilnehmer auf. Die Stifterfiguren könnten demnach als Sünder gelten, die die Wahl haben: dass ihnen wie Judas nicht vergeben wird, weil er nicht glaubte, oder doch vergeben wird wie Petrus, weil er glaubte.

Die oft hervorgehobenen Details in den Szenen der Passion im Westlettner, die angeblich dem Alltagsleben abgeschaut sind, entlarvte Klaus Niehr von der Uni Osnabrück als gängige Formeln in der Buchmalerei. Neu am Umgang des Naumburger Meisters damit sei aber das Überschreiten von ritualisierter Gestik. Das habe einen möglichen Ursprung in damaligen Forderungen an den Klerus, sich einer ausdrucksstarken Rhetorik zu bedienen. Und bei den Stifterfiguren machte Kerstin Merkel von der Universität Eichstätt Beobachtungen, die dem Naumburger Meister das Etikett der „Lebensnähe“ auf frappierende Weise bestätigten: Mützen zum Beispiel, die eigentlich typisch für Handwerker waren, und Schleier, die Wohlhabende trugen, aber ursprünglich kein Accessoire des Adels waren.

Und Uta? Warum rafft sie den Mantel? Nichts da mit „höfisch“ und gravitätisch, wie sich zeigt. Der Mantel rutscht nämlich, Uta zieht ihn umständlich hoch und so muss man wohl auch die angeblich herrische Geste des zum Kinn geführten Arms verstehen: Auch er zerrt am Mantel, der in Unordnung gerät. Wer weiß, meinte Merkel: Vielleicht haben die Zeitgenossen Uta als Ausbund von Unordentlichkeit angesehen. Doch sollte das ihre Sünde gewesen sein, so darf auch Uta hoffen: auf das Lachen der Reglindis nämlich, die Gesine Mierke von der Technischen Universität Chemnitz als irdische Erlösung deutete, im Hinblick auf das kommende Reich Gottes.

Die Ausstellung in Naumburg endet am 2. November. Geöffnet ist die Schau täglich 10-19 Uhr, Fr bis 22 Uhr.

Traum der Heiligen drei Könige: Leihgabe der Chartres Kathedrale Notre Dame. (FOTO: TORSTEN BIEL)
Traum der Heiligen drei Könige: Leihgabe der Chartres Kathedrale Notre Dame. (FOTO: TORSTEN BIEL)
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